Feine Antennen – Ein Blick in die Zukunft

Katzen scheinen einen sechsten Sinn zu haben. Ist Gefahr im Verzug, spüren sie das frühzeitig und überstehen so viele Katastrophen. Woran liegt das? Steckt doch ein wenig Magie in ihnen?

Text: Daniela Poschmann

Antenne

Eben noch streunte die eine Katze neugierig im Garten herum, während ihre Nachbarin friedlich auf der Fensterbank schnurrte, doch plötzlich springen beide auf und verlassen in Windeseile Haus und Hof. Nur wenige Augenblicke später knallt es und ihr Zuhause liegt in Trümmern. Eine Bombe. Es ist 10.57 Uhr am 18. März 1945 – der Tag, an dem Berlin den schwersten Luftangriff im Zweiten Weltkrieg erlebt. Immer wieder liest und hört man solche und ähnliche Geschichten von Tieren, die ein ungewöhnliches Verhalten zeigen, kurz bevor es zu einer Katastrophe kommt. Egal ob Bombenangriff, Flutkatastrophe, Vulkanausbruch oder Erdbeben, vor allem Katzen scheinen einen Sinn für aufkommende Gefahren zu haben. Nicht wenige retten so nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Halter. Manchmal wirkt diese Gabe aber beinah schon etwa mysteriös. So wie etwa bei Oscar. Der amerikanische Kater ist der Held des Buches mit dem vielversprechenden Titel «Oscar – Was uns ein Kater über das Leben und das Sterben lehrt» und war jahrelang im Pflegeheim Steere House (Providence, Rhode Island, USA) zu Hause. Dort drehte er seine Runden, beschnüffelte die Patienten und setzte sich gezielt in die Betten derjenigen, die kurz darauf starben. Er schien den Tod wortwörtlich kommen zu sehen. «Viele Angehörige finden Trost darin. Sie finden es gut, dass die Katze ihrem sterbenden Familienmitglied Gesellschaft leistet», sagte damals ein zuständiger Arzt. Können Katzen also tatsächlich in die Zukunft sehen? Kam der mittelalterliche Aberglaube, dass Katzen mystische Wesen seien, doch nicht von ungefähr? Haben sie wirklich übernatürliche Fähigkeiten? Nein! Die Vierbeiner haben lediglich feinfühlige Antennen und hören auf sie. Nicht wie der Mensch, der seine Intuitionen oft trotz besseren Wissens ignoriert.

Alles ganz natürlich

Diese Antennen sind feinste Härchen und Sinneszellen, die sich über den Katzenkörper verteilen und kleinste Erschütterungen sowie geringste Geschmacksunterschiede erfassen, lange bevor ein Zweibeiner dazu in der Lage ist. Äusserst sensibel sind beispielsweise die Tasthaare, die um das Maul herum, über den Augen und an den Wangen zu finden sind. Diese bis zu acht Zentimeter langen Schnurrhaare haben überaus empfindliche Wurzeln, die mit zahlreichen Nerven und Muskeln versehen sind, mit denen die Stubentiger sowohl Berührungen als auch Veränderungen des Luftdrucks und der Temperatur wahrnehmen. Mit diesen Vibrissen können sie problemlos durch dichte Gebüsche streifen und Hindernisse abtasten. Ihnen ist es möglicherweise auch zu verdanken, dass Katzen etwa Beben und Wirbelstürme spüren, lange bevor sie geschehen. Schliesslich steigt die statische Elektrizität, also die elektrische Aufladung der Luft, davor enorm an, was wiederum die feinen Haare aktivieren würde. Hier kommen wahrscheinlich auch die Sohlballen der Katze ins Spiel. Dort befinden sich nämlich die Pacinischen Körperchen, sensible Druckrezeptoren, die sogar Mäuseschritte und dementsprechend auch noch weit entfernte Erdbeben wahrnehmen können. Für den Halter sind die Tasthaare übrigens auch interessant. Wer sie zu deuten weiss, erspart sich so manchen Kratzer. Denn liegen sie nach hinten, sollte man vom Streicheln absehen. Das Tier hat Angst und könnte angreifen. Ähnlich vorsichtig sollte man sein, wenn sie nach vorn gerichtet und aufgefächert sind. Zwar ist der Stubentiger dann nicht schlecht gelaunt, sondern aufmerksam, aber auch ein zu starker Aktionsdrang kann blutig enden. Liegen sie dagegen seitlich und eng aneinander, steht einer entspannten Kuscheleinheit nichts im Weg. Fehlen trotz allem noch Informationen, um einen Gegenstand zu identifizieren, kommen die so genannten Mikrovibrissen an den Tatzen zum Einsatz. Eine schnelle Berührung reicht und die Katze weiss alles, was sie wissen muss. Etwa wie gross das Hindernis ist und welche Konsistenz es hat. Weitere Antennen, die zwar nicht bei Naturkatastrophen helfen, aber stattdessen beispielsweise bei vergiftetem Futter, sind die Papillen auf der Zunge. Mit diesen fingerartigen Erhebungen checkt das Büsi die Temperatur, die Beschaffenheit sowie den Geschmack der Nahrung. Es unterscheidet Salziges von Süssem und Saures von Bitterem. Und da Gifte meist bitter schmecken, ist das eine praktische Angelegenheit. Am unangenehmsten sind für die meisten Katzen allerdings saure Speisen, da die Rezeptoren für den sauren Geschmack über die ganze Zunge verteilt sind.


Vulkan

Drohende Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche scheinen Katzen im Voraus zu spüren. Noch unklar ist derzeit, was sie dazu befähigt
Immer der Katze nach

So weit die wissenschaftlich erforschten und verstandenen Talente der Katze. Bisher noch nicht vollständig geklärt ist allerdings der sechste Sinn einiger Tiere, darunter auch der Katze. Ihr Orientierungssinn basiert massgebend darauf, dass sie das Magnetfeld der Erde wahrnehmen können oder anders ausgedrückt, sie haben einen eingebauten Kompass, mit dem sie elektromagnetische Felder erspüren. Daher nehmen einige Wissenschaftler an, dass die Vierbeiner mögliche magnetische Anomalien wahrnehmen und sie als Warnsignal deuten, bevor die Erde anfängt zu beben oder der Vulkan beginnt zu spucken. Hundertprozentig weiss man noch nicht, warum Katzen Katastrophen «vorhersehen» können. Aber was auch immer sie dazu bewegt, fluchtartig das Haus zu verlassen, man tut möglicherweise gut daran, ihnen zu folgen.