Können Tiere sprechen?

Sprache ist ein Zeichensystem, das der Kommunikation dient. Neben der für den Menschen typischen Lautsprache existieren ursprünglichere Mittel, um mit Artgenossen zu kommunizieren: spontane Lautäusserungen, Körperhaltung, Gestik und Mimik, Geruchsbotschaften.


Text: Ruth-Lisa Knapp



Hunde «lesen» die Duftmarken anderer Hunde, Katzen teilen durch Buckeln und Fauchen mit, dass sie wütend sind, Delfine kommunizieren über Klicklaute, Hühner warnen ihre Artgenossen durch unterschiedliche Schreie, wenn Feinde sich nähern. Elaborierte Sprache mit entsprechender Artikulation und Grammatik beherrschen die Tiere jedoch nicht.

Alex, ein erstaunlicher Graupapagei

Ein Sonderfall sind die Papageien, die menschliche Sprache nachahmen können. Ob sie – über das Nachplappern hinaus – auch verstehen, was sie da sagen, ist strittig. Bisher ist nur ein einziges Beispiel dokumentiert, der Graupapagei Alex von Irene Pepperberg, der mit Drei-Wort-Sätzen auf unterschiedliche Situationen angemessen reagieren konnte: um Spielzeuge bitten, Bedauern oder Freude ausdrücken. Er konnte Gegenstände benennen und Kategorien bilden, Farben und Formen unterscheiden. Voraussetzung für diese erstaunlichen Leistungen war hier wohl neben dem langjährigen Training die enge, liebevolle Beziehung zwischen Forscherin und Tier.

Andere Tierarten sind anatomisch nicht so ausgestattet, dass sie wie Menschen artikulieren können, auch bei unseren nächsten Verwandten sind die Sprachorgane dazu nicht geeignet. Um ihr kognitives Potenzial zum Erlernen einer Sprache zu erforschen, muss auf andere Zeichensysteme zurückgegriffen werden. In den 1970er-Jahren begannen einige Versuchsreihen zum Spracherwerb von Primaten:

Kanzi kommuniziert über Lexigramme

Die US-amerikanische Forscherin Sue Savage-Rumbaugh hat dem Bonobo Kanzi die Sprache «Yerkish» beigebracht. Mittels einer Tafel bzw. eines Bildschirms mit circa 400 Icons – Lexigramme genannt – kommuniziert er, indem er auf die Symbole deutet, und kann so Gegenstände und grammatische Strukturwörter kombinieren, um kurze Sätze zu bilden. Kanzi tippt zum Beispiel nacheinander drei Tasten, die für «Banane/in/rote Tasse» stehen, wenn er eine Banane in seiner roten Tasse serviert bekommen möchte. Da zu jedem Lexigramm immer auch das englische Wort ertönte, lernte er gleichzeitig, auf mündlich gegebene Aufforderungen zu reagieren.

Chantek lernt die Gebärdensprache

Der Orang-Utan Chantek lebte acht Jahre lang mit der Forscherin Lyn Miles zusammen und nahm am täglichen Leben teil. Er lernte in dieser Zeit einige hundert Gebärden, über die er sich mit seinem Gegenüber austauschen konnte. Über Skype kommunizierte er mit einem tauben Mädchen. Zudem konnte er gesprochenes Englisch verstehen. Er half beim Putzen und Kochen, hatte Freude an diversen Spielen und am Malen und vollzog seine Entwicklungsschritte etwa im gleichen Zeitrahmen wie ein gleichaltriges Menschenkind. Orang-Utan bedeutet auf Malaiisch «Waldmensch».

Koko gibt die Gebärdensprache weiter

Gorillas gelten als wenig motiviert, kognitive Leistungen zu vollbringen. Eine Ausnahme bildet die 1971 geborene Gorilla-Frau Koko, die in der Amerikanischen Zeichensprache (ASL) unterrichtet wurde. Sie beherrscht etwa 1000 Begriffe, mit denen sie Gegenstände und Handlungen benennen und kurze Sätze bilden kann. Als ein junger Gorilla dazukam, brachte sie ihm ASL bei, sodass beide sich auf diese Weise verständigen konnten. Wie bei allen Langzeitversuchen, die positive Ergebnisse zeitigten, lebten die Tiere eng mit den Forschern zusammen in einer anregenden Umgebung und erfuhren viel Zuwendung.

Nach jüngsten Erkenntnissen des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik sind Gehirnstrukturen, die zur Sprachproduktion notwendig sind, nicht nur bei den Vorfahren des heutigen Menschen, sondern auch bei den Vorfahren anderer Primaten zu finden. Es scheine, dass bei ihnen der Bereich im Gehirn, der für Planung und Produktion von gesprochener Sprache und Zeichensprache notwendig ist (Broca-Areal), eine ähnliche Funktion hat wie bei Menschen.

Quelle: weltdertiere.ch

© Ruth-Lisa Knapp ist freiberufliche Lektorin und Redaktorin.