... und tschüss!

Wer einen Freigänger hat, ist fast immer in Sorge. Schliesslich lauern draussen viele Gefahren. Dass viele Risiken aber auch drinnen gegeben sind, vergisst man leicht.


Text: Daniela Poschmann

Jäger

Es beginnt ganz unauffällig. Sitzt die Mieze anfangs noch beobachtend im fremden Garten, abwartend, ob sie geduldet wird, traut sie sich jeden Tag etwas näher ans Haus heran. Ist sie erst einmal so nah dran, dass sie gefüttert und gestreichelt wird, ist es schnell um sie geschehen und sie ist eingezogen. Denn: Wer ein neues Zuhause sucht, findet es. Mögliche Gründe, die alte Heimat zu verlassen, gibt es viele.

Katzen sind Opportunisten und haben einen starken Willen. Sie wollen im Mittelpunkt stehen, geliebt und verwöhnt werden. Glaubt man einigen Studien, ist diese Liebe allerdings recht einseitig. Während sich der Mensch ein Leben ohne seinen geliebten Vierbeiner meist kaum noch vorstellen kann, soll die Katze in ihm lediglich den praktischen Dosenöffner sehen, der sie neben dem schmackhaften Futter auch noch mit Streicheleinheiten verwöhnt. Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt. Fakt ist aber: Geht es nicht nach ihrem Näschen, zieht sie mitunter rasch Konsequenzen. Mögliche Auslöser: etwa ein Baby, das in die Familie kommt und alle in Beschlag nimmt. Ein neuer Partner, mit dem sie sich plötzlich das Frauchen teilen soll, oder schlichtweg ein neues Futter, welches dem Büsi nicht in den Kram passt. Vielleicht hat Frauchens Sohnemann auch auf einmal seine Leidenschaft zur Musik entdeckt und dreht die Boxen voll auf oder scheppert auf seinem Schlagzeug herum. «All diese Gründe können bei Katzen Stress auslösen, was zu einem starken Unwohlsein und schliesslich zu einer Flucht führen kann», erklärt Yvonne Stamm.

Der Trend der Zweitheimat

Als Tierpsychologin und -homöopathin ist die Aargauerin immer unterwegs, um ihre Schützlinge in ihrer vertrauten Umgebung zu behandeln, und kennt das Dilemma der entschwundenen Katze. Und sie weiss, dass das Übel mitunter auch ausserhalb der eigenen Familie zu finden ist. «Es können auch Tiere in der unmittelbaren Umgebung zu diesem Stress führen, beispielsweise ein neuer Hund beim Nachbarn oder eine neue Katze im Quartier. Fühlt sich die Katze im Revier verdrängt, reagiert sie mit Ausweichen oder Kämpfen.» So ist es ganz unterschiedlich, wohin die Katze geht. Je nach Auslöser sucht sie sich lediglich ein neues Zuhause, bleibt aber im gleichen Revier – insofern sie sich dort wohlfühlt und vielleicht Freundschaften geschlossen hat – oder sie entfernt sich gänzlich von ihrer alten Heimat.

Manche Katzen haben auch das Catsharing für sich entdeckt. Ist zum Beispiel tagsüber niemand zu Hause, gehen sie zum Nachbarn und lassen sich dort füttern und verwöhnen. Nach Feierabend geht es wieder heim. Die eigentlichen Halter wissen oft gar nichts davon und wundern sich, warum der kätzische Appetit zu wünschen übrig lässt. Anders als bei der oben beschriebenen Suche nach einem neuen Heim sind diese Sofalöwen nicht unzufrieden, sondern bleiben laut Stamm einfach ihrem Wesen treu. Die Katze an sich ist sehr eigen, verzehrt sich nach Aufmerksamkeit und holt diese notfalls eben auch abseits des eigenen «Rudels». Einmal Opportunistin, immer Opportunistin!

Ihre Entscheidung akzeptieren

So sehr man eine solche Eigenständigkeit auch bewundern mag, ist das Büsi einmal weg, ist das Geheul meist gross. Hilferufe in den sozialen Medien und Aushänge am Wohnort sind die Folge.

Mit etwas Glück findet man das Tier wieder, aber was nun? Sollte man es seiner neuen Wahlheimat entreissen? «Ist eine Katze an einem neuen Ort, sollte man versuchen herauszufinden, warum sie weg ist. Wichtig ist auch, wie lange sie schon dort ist», sagt Yvonne Stamm. Der Halter hat ihrer Meinung nach zwei Optionen: die ursprüngliche Wohlfühlatmosphäre wiederherzustellen oder die Katze in ihrem Wahlheim zu lassen – insofern dies möglich ist. Denn die Musik kann leiser gemacht und das Futter gewechselt werden, aber nicht immer lässt sich der vermeintliche Störfaktor ohne weiteres beseitigen, so dass die Katze sich in ihrer alten Umgebung eventuell nicht wieder einlebt. «In einer solchen Situation ist es am besten, wenn man das Tier offiziell abgibt. Das bedeutet, dass registrierte Tiere eine Besitzeränderung brauchen und das Impfbüchlein dem neuen Besitzer übergeben wird. Das kann sehr schwer sein, doch zum Wohle der Katze und um Streitigkeiten zu vermeiden, ist das sinnvoll», so die Fachfrau.

Wer eine solche Situation vermeiden möchte, dem bleibt wohl nur eins: seine Katze glücklich zu machen. Denn wie alle Tiere lebt sie im Hier und Jetzt und kennt keine Hoffnung auf Besserung, mit der wir Menschen oft versuchen, eine Situation schönzureden. Sie meint es auch nicht böse, wenn sie geht, sondern denkt einfach an ihr eigenes Wohl. Eigentlich beneidenswert, oder?

Quelle: weltdertiere.ch

©  Daniela Poschmann ist als freie Journalistin tätig und hat sich auf das spannende Themenfeld «Natur und Tiere» spezialisiert.