Mensch und Hund gut verbunden

«Normalerweise kommt er immer sofort, wenn ich ihn rufe!», wirft die junge Frau ein. Sie hat die Aufgabe, ihren Hund von einem Grasbüschel, der verführerisch gut riechen muss, abzurufen. Leider scheint der Hund die Ohren auf «kein Empfang» gestellt zu haben. Die Besitzerin ist ziemlich genervt, weil der Hundetrainer ihre offensichtlich hilflose Lage mit Stirnrunzeln und süffisantem Lächeln kommentiert. Und dann hört sie es laut und deutlich: «Sie sollten mal an der Bindung arbeiten», meint der Trainer lakonisch.


      Hund und Mensch

      Von heut auf morgen – wahllos
      Die Frau nickt. Weiss sie denn genau, was das bedeutet und woran sie «arbeiten» muss? Warum fragt sie nicht nach? Vermutlich hat sie das Gefühl, dass dann der Hundetrainer noch massiver werden würde und sie sich noch kleiner vorkäme. Jeder weiss doch, was Bindung bedeutet und wie man daran arbeiten soll, oder?

      Unsichtbar sichtbar
      Bindung entsteht, wenn Aufrechterhalten von Nähe zu einem anderen Lebewesen Überleben, auch aus emotioneller Sicht, bedeutet. Hundewelpen richten ihr Verhalten unwillkürlich auf ein Individuum, wenn sie stressbeladene oder gefährliche Situationen überleben müssen. Nach neuesten Forschungsergebnissen können vier Monate alte Welpen Bindungsbeziehungen zu ihrem Besitzer entwickeln. Bindung bedeutet auch, eine besonders enge soziale Beziehung zu einem anderen Lebewesen einzugehen. Meistens ist eine gute Bindung nicht wirklich sichtbar, aber spürbar.


      Qualität
      Bindung beruht auf dem Vertrauen, sich gut zu fühlen, verstanden und geschützt zu werden, sich auf jemanden verlassen zu können. Sein dürfen, wie man eben ist, anlehnen können, wenn man es braucht, und sich trotz allem die Eigenständigkeit bewahren – all diese Teile machen ein Ganzes, zeichnen eine gute Bindung aus.


      Es entstehen auch Bindungen und Beziehungen aus Abhängigkeit, d. h. es ist nicht der freie Wille des Individuums, eine Bindung mit genau jener Person einzugehen, sondern die Bindung entsteht aus Hilflosigkeit.

      Von heute auf morgen alles anders
      Viele Hundekinder verlieren ihre ganze Familie mit einem Schlag. Alles, was ihnen vertraut und bekannt war, wird wie ein unsichtbarer Boden unter den Pfoten weggezogen. Ein ganz besonderer Tag ist die Welpenübernahme für den neuen Besitzer für den Welpen selbst ist er traumatisch.
      Meistens haben Welpen keine Wahl, sie werden vom Menschen ausgesucht. Ob nun der Züchter als Individuum-Kenner selber den Nachwuchs auf die jeweiligen Interessenten verteilt oder ob sich jemand in die Hunde-Kulleraugen auf einer Internetseite verliebt: «Mitspracherecht» haben die Hunde eigentlich keines. Auch jene, die beim Züchterbesuch einfach neugierig krabbelnd den menschlichen Schoss erklimmen, sind nicht unbedingt sicher, ob sie sich genau diesem Menschen anschlies­sen wollen. Der Mensch interpretiert dies zwar oft so, weil er es gerne so sehen will. Dennoch gibt es sie, Hunde, die sich ihren Menschen aussuchen. Ein ganz spezielles und unbeschreibliches Gefühl nimmt den nun «wissenden» Bindungspartner ein. Man könnte etwa sagen: Es fühlt sich einfach richtig an.

      Hohe Ziele – und wo bleibt die Bindung?
      Hundewelpen oder übernommene Hunde kommen in ein für sie ganz neues Umfeld. Meistens stehen auf dem geistigen Wunschzettel des Menschen schon diverse Ziele, die er gerne mit diesem Hund erreichen möchte. Es kann sich um Sparten im Hundesport handeln, in denen man ganz nach oben kommen möchte oder den Besitzer reizt die Arbeit im sozialen Bereich. Vielleicht soll der vierbeinige Neuling einfach «nur ein folgsamer Familienhund» werden, der nett zu allem und jedem ist und möglichst nicht auffällt.

      Bindung ist wachsend
      Meistens ist es so, dass man einen gerade übernommenen Hund kaum auf dem ersten Spaziergang frei laufen lässt, auch wenn er angeblich erzogen ist und bereits «Sitz, Platz, Fuss» gelernt hat. Der Hund kennt vielleicht schon seinen Namen, trotzdem traut man sich gegenseitig nicht. Es ist noch keine Bindung entstanden, die gerade für das Zurückkommen elementar ist.

      Eine Beziehung zum Hund aufzubauen, bedeutet vor allem, seine Bedürfnisse zu verstehen und ihnen nachzukommen. Welpen lernen schnell, wie sie sich verhalten müssen, damit sie beispielsweise ihre Notdurft verrichten können, also dass der Mensch ihr Verhalten auch sieht und richtig reagiert. Hunde lernen sich selber und die Umwelt besser kennen, wenn sie erkunden und spielen dürfen. Das Zutrauen durch den Menschen öffnet ihre Sinne, lässt lebenswichtigen Spielraum für die individuelle Entwicklung zu. Überbehütung und auch sogenannte «Affenliebe» hemmt die innere Sicherheit des Hundes. Die angeborene Neugier soll, wenn immer möglich, ausgelebt werden dürfen. So möchten Hunde am Tagesablauf des Menschen teilhaben, mit dabei sein dürfen, wo immer sich die Gelegenheit bietet und die Situation zu verantworten ist. Hunde, die sich nicht frei in der Wohnung oder im Haus bewegen dürfen, leben in ihrer eigenen ausgegrenzten Welt. Ein wichtiger Teil des sozialen Zusammenhalts geht verloren oder entwickelt sich erst gar nicht. Durch den fehlenden Vertrauensaufbau entsteht keine Bindung. Dieses Defizit schlägt sich dann gnadenlos in der Erziehung nieder. Bindung wird zu Hause aufgebaut und gelebt. Körperkontakt und gemeinsames Ruhen sowie psychische und physische Anwesenheit lassen jenes Gefühl wachsen, welches so kostbar ist. Gesundheitliche Probleme bemerken sowie das Erkennen von Über- und Unterforderung gehören zum gemeinsamen Aufbau einer Bindung Liebe zum Hund vorausgesetzt. Erwünschtes Verhalten lobend unterstützen ist elementar wichtig. Gezielt eingesetzte Futtergaben haben dabei verstärkende Wirkung. Futter ist jedoch kein Mittel dafür, eine sichere, vertrauensvolle und verlässliche Bindung aufzubauen. Viele Hunde hören die Kühlschranktür und stehen sofort da. Sie müssen aber zum Menschen, der die Tür betätigt hat, nicht unbedingt eine gute Bindung haben. Futtergaben oder Futterentzug sollten daher keine Grundlagen für Erziehung bilden, es gehört schon mehr dazu.

      Gemeinsam empfinden
      Einander vertrauen und die jeweilige Individualität akzeptieren, schafft Freiraum zum gemeinsamen Erleben. Es ist wunderschön, den eigenen Hund mit seinem Lieblingsspiel zu überraschen. Die Augen leuchten, die Erwartung steht im Gesicht geschrieben: Los geht''s!

      Herauszufinden, was dem eigenen Hund wirklich Spass macht, ist der Schlüssel zur mentalen Verbindung.

      Nicht immer, wenn der Mensch das Bedürfnis nach Kuscheln mit dem Hund hat, möchte der Hund das auch. Oft sieht man Hund und Mensch bei Unternehmungen, die offensichtlich einzig dem Menschen Zufriedenheit bereiten. Der Hund hängt irgendwie an einer Leine, wird herumgezogen wie ein Trolley, hat keine Ahnung, was der Mensch von ihm will, da der einzige Impuls über das Halsband erfolgt. Viele Hundehalter glauben zu wissen, was ihrem Vierbeiner Spass macht. Oft ist dies nicht im Entferntesten das, was der Hund wirklich möchte.

      Hunde «sehen» auch mit der Nase gut. Schnüffeln dürfen, wahrnehmen und einschätzen können, ist für Hunde wichtiger, als in einer eingeplanten Zeitspanne von A nach B zu laufen, nur um gelaufen zu sein. Hunde werden nicht joggend oder am Fahrrad laufend geboren. Wölfe laufen nur dann grössere Strecken, wenn sie auf Nahrungs-, Revier- oder Partnersuche sind. Der Hund hat andere Bedürfnisse als der Mensch. Hunde können sich jedoch sehr gut anpassen. Nur: Das gemeinsame Tun sollte für beidseitiges positives Empfinden stehen.

      Selbstwertgefühl stärken
      Hunde verändern sich positiv, wenn sie ihre eigenen Fähigkeiten ausprobieren dürfen und somit ihr Selbstwertgefühl stärken. Etwas gut zu können und vom Menschen dafür Anerkennung zu bekommen, gibt Sicherheit. Ehrliche Anerkennung und gemeinsam Schönes erleben, stärkt die Bindung. Vertrauen kann nicht unter Druck aufgebaut werden. Freies Zutrauen, erkennen von Signalen und gemeinsame Qualitätszeiten lassen ein Mensch-Hund-Team zusammenwachsen. Wenn man sich gut versteht, sollte man auch kein Problem damit haben, die Antworten des anderen anzunehmen. In einer guten Beziehung und einer gefestigten Bindung darf der pelzige Part auch mal nein sagen.

      Das Aha-Erlebnis
      Die junge Frau ging nach Hause und überlegte sich, wie sie nun an der Bindung arbeiten sollte. Der Hundetrainer hatte sie ja dazu gedrängt. So setzte sie sich etwas ratlos hin, sah aus dem Fenster und dachte daran, wie schön und entspannt der Spaziergang gestern mit ihrem Hund war. In dem Augenblick kam er zu ihr, legte den Kopf in ihre Hände, sah sie mit glänzenden Augen an und lief dann zur Tür. Die Frau verstand sofort. Gemeinsam erlebten sie einen schönen, ruhigen Spaziergang. Der Hund durfte an jedem Grasbüschel so lange schnüffeln, wie er wollte. Zwischendurch bot die Frau ihrem Hund überraschend eine kleine Spielübung an und der gemeinsame Spaziergang wurde für beide zum Geschenk. Jenen Hundetrainer besuchte die Frau nie mehr.


      Quelle: weltdertiere.ch