Spannungsfeld Hundehalter und Nicht-Hundehalter

Gegenseitige Schuld- und Zurechtweisungen bei Konflikten zwischen Hundehaltern und Nicht-Hundehaltern gehören leider zum Alltag. Dabei gibt es ganz leicht umzusetzende Verhaltensregeln für beide Seiten. Und mit einer Portion gesundem Menschenverstand und etwas weniger Sturheit sollte einem friedlichen Miteinander eigentlich nichts im Wege stehen.


Text: Sybille Kläusler



Als Kind und junge Erwachsene wurde ich mehrere Male von Hunden gebissen. Das erste Mal, als ich wirklich klein war. Ich störte einen Hund beim Fressen und er schnappte mich oberhalb des Auges, was eine ziemlich üble Wunde ergab. Der Kommentar meiner Mutter: «Du darfst einen Hund nicht beim Fressen stören.» Dieser Hund wurde nicht zu einem Psychologen geschickt. Einmal sprang mir ein Jagdhund an die Kehle, mit eindeutigen Absichten. Diesen Hund hätte ich ehrlich gesagt auch lieber im Hundehimmel gewusst. Doch die Gesetze waren damals noch nicht die heutigen. Heute hätte der Hund die Regenbogenbrücke überquert und die Halter eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung am Hals.

Viele sehen die Schuld jeweils beim anderen.

Die Spannungsfelder zwischen Hundehaltern und Nicht-Hundehaltern haben sich wohl kaum verkleinert. Und jeder gibt ein bisschen dem anderen die Schuld: Die ganzen Gesetze sind schuld, dass Nicht-Hundehalter die Hunde noch weniger mögen als jemals zuvor. Der Hundehalter ist schuld, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht wahrnehmen und ihr Kind, ohne den Besitzer zu fragen, zu einem fremden Hund hinlassen, damit es vermeintlich den Umgang mit ihm lernen soll. Und die Nicht-Hundehalter sind schuld, weil sie keinen Kult um die Vierbeiner machen und keinen Kontakt zu ihnen wünschen. Aus dem Satz «Bitte nehmen Sie Ihren Hund an die Leine» wird in der Interpretation von Hundehaltern oft ein Angriff auf ihre Integrität. Die Reaktionen auf diese simple Bitte sind manchmal nicht nur übertrieben, sondern rücken die Gilde der Hundemenschen in ein beschämendes Licht. Und umgekehrt sind die Reaktionen von Menschen, die einfach jeden Hund als ihren Kumpel ansehen, manchmal genauso unverständlich. Hät­ten Sie Lust, von wild­fremden Menschen auf den Kopf getätschelt zu werden? Auch Hunde haben eine Individual­distanz. Bemerkungen wie «ah, ist er aggressiv» sind so unnötig wie die Allergiker-Info «enthält Erdnüsse» auf einer Erdnusspackung. Dabei gibt es ganz leicht umzusetzende Verhaltensregeln für beide Seiten.

Für Hundehalter gilt:

  • Wenn der Hund keinen sauberen und zuverlässigen Rückruf kennt, dann gehört er in frequentierten Gebieten an die Leine.


Diese Regel wird leider noch viel zu wenig beachtet. Der eigene Hund braucht ja seine Bewegungsfreiheit, er muss sich austoben können, und alle wollen mit ihm spielen. Meistens ist diese Einstellung eben gerade der Grund, dass der Rückruf nicht zuverlässig ist. Denken Sie an die Freiheit der anderen Menschen und deren Recht, ohne schlammige Pfotenabdrücke auf dem Bauch nach Hause zu kommen. Denken Sie auch an die Hunde, die aus verschiedenen Gründen nicht frei laufen können oder dürfen. Denken Sie auch daran, dass nicht Sie entscheiden, ob ein anderer Hund frei laufen soll oder nicht. Arbeiten Sie am Rückruf Ihres Hundes. Das macht Spass und festigt die Bindung Ihres Vierbeiners.

  • Jeder hat das Recht, seine Freizeit so zu verbringen, wie er das will.

Zwingen Sie anderen Menschen nicht Ihren Hund auf. Jogger haben das Recht, ihr Training ohne Slalomlauf durch Hunde zu machen, und Kinder haben das Recht, ihren Zwieback selber zu essen. Jeder hat das Recht, Ihren Hund nicht zu mögen.

  • Nehmen Sie vor unübersichtlichen Stellen, beispielsweise bei Maisfeldern oder Büschen, die die Sicht auf einen Weg behindern, Ihren Hund zu sich.

Nicht nur Ihr Hund kann erschrecken und reflexartige Reaktionen zeigen, sondern auch der Mensch, der um die Ecke kommt, kann einen Schreck bekommen. Führen Sie Ihren Hund bei sich und gehen Sie in einem grösseren Bogen um die Ecke, so, dass Sie die Übersicht behalten. Achten Sie darauf, dass der Hund nicht vor Ihnen an der Leine um die Ecke geht.

  • Stellen Sie hohe Ansprüche an Ihr eigenes Verhalten.

Die meisten Hundehalter geben sich grosse Mühe, Ihren Vierbeiner zu erziehen und auszubilden. Dabei ist es wichtig, das eigene Verhalten immer im Fokus zu behalten und hohe Ansprüche an sich selber zu stellen. Die Grösse eines Menschen zeigt sich im Umgang mit seinem Hund und im Umgang mit der Umwelt.

  • Setzen Sie klare Grenzen, wenn Sie nicht wollen, dass jemand Ihren Hund streichelt oder Sie Ihren Hund nicht mit einem anderen laufen lassen wollen.

Keine Rechtfertigungen, keine Anschuldigungen. Es liegt an Ihnen, klar und freundlich zu kommunizieren. Das gehört zu Ihrer Verantwortung dazu. Sagen Sie einfach: «Bitte streicheln Sie meinen Hund nicht. Danke.» oder: «Bitte achten Sie darauf, dass Ihr Hund nicht zu uns kommt, danke.» Diese klaren Sätze geben keinen Anlass zu unnötigen Diskussionen und Streit. Erwarten Sie nicht, dass der andere Ihre Situation kennt. Vergessen Sie Sprüche wie «Sie können ja sehen, dass ...». Wir Erwachsenen mögen es nicht, wie Kinder zurechtgewiesen zu werden. Das gibt nur unschöne Trotz-Reaktionen.

  • Sollte Ihr Hund jemanden schnappen oder beissen, beginnen Sie unter keinen Umständen einen Streit über die Schuld oder den Grund. Rechtfertigen Sie nicht, sondern zeigen Sie Grösse und Verantwortung.

Bringen Sie Ihren Hund als Erstes aus der Situation raus, und dann kümmern Sie sich um die Person. Es ist normal, dass jemand in solchen Momenten aufgebracht ist. Unterstützen Sie dieses Verhalten nicht noch mit Bemerkungen wie «jetzt seien Sie nicht so wehleidig, ist ja nur ein Kratzer.» Verlangen Sie, dass Sie gemeinsam zum Arzt gehen, um die Wunde zu versorgen. Fragen Sie, ob der Betroffene gegen Tetanus (Wundstarrkrampf) geimpft ist. Ihr Verhalten hat einen immensen Einfluss auf den späteren Verlauf eines solchen Vorfalls. Denken Sie daran: Sie riskieren heute in einem solchen Fall eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das muss nicht sein, wenn Sie Ihre Verantwortung auch in solch unangenehmen Situationen wahrnehmen.
Das Gleiche gilt übrigens auch, wenn Ihr Hund jemanden anspringen sollte, auch wenn es aus Übermut ist. Zeigen Sie auch da Grösse, entschuldigen Sie sich und geben Sie der Person Ihre Telefonnummer, falls Reinigungskosten anstehen. Proaktivität und die Übernahme von Verantwortung zahlen sich immer aus und nehmen einem möglichen Streit den Wind aus den Segeln.




Nicht-Hundehalter sollten Folgendes beachten:

  • Hunde sind keine wandelnden Kuscheltiere. Es gibt Hunde, die mögen es gar nicht, gestreichelt zu werden.

Manche Menschen meinen: «Ich mag alle Hunde, und alle Hunde mögen mich, ich kann gut mit Hunden umgehen.» Gut mit Hunden umgehen zu können, heisst, sie auch in Ruhe zu lassen. Wenn Sie mit dem Hund Kontakt aufnehmen wollen, beginnen Sie zuerst ein Gespräch mit dem Hundehalter. Hundemenschen lieben es, über ihre Vierbeiner zu reden.

  • Wenn Sie joggen oder radfahren und sich von hinten einem Spaziergänger mit Hund nähern, dann betätigen Sie die Klingel oder machen Sie sich, wenn möglich, freundlich bemerkbar.

Auch wenn ein Hundehalter immer wieder zurückschaut, um eben solche Konfrontationen zu vermeiden, so bringt es der Tempounterschied der verschiedenen Akteure mit sich, dass es unverhofft zu einem Treffen kommen kann. Wenn der Hundehalter seinen Vierbeiner zu sich nimmt, freut er sich über ein «Danke» und eventuell sogar ein Lächeln.

Der Fokus der vergangenen Jahre auf Menschen mit Hund hat sich verstärkt. Durch die unzähligen Kursangebote und den obligatorischen Sachkundenachweis entsteht bei vielen Hundehaltern die Meinung, den perfekten Hund haben zu müssen. Dabei bleibt der natürliche Umgang mit dem Vierbeiner manchmal auf der Strecke. Um die ganze Thematik hat sich eine regelrechte Industrie entwickelt. Hundeschulen schiessen wie Pilze aus dem Boden. Es ist wichtig, dass unsere Vierbeiner ausgebildet und bedürfnisgerecht beschäftigt und betreut werden. Eine auf Ethik und Respekt basierende Ausbildung ist die Grundlage für ein gutes Zusammenleben. Doch eines dürfen wir nicht vergessen: Der Hund soll den Menschen begleiten, nicht umgekehrt.


Quelle: weltdertiere.ch
© Sibylle Kläusler ist Personal­trainerin für Menschen mit Hunden, kyno-mental.ch